Vom Erzgebirge bis in die Hohen Tauern ist es eine weite Reise. Aber die Fahrt von fast 600 Kilometern lohnt sich in Anbetracht der dortigen Alpenidylle und der schönen Wandermöglichkeiten. Deshalb müssen unsere Kurztrips dorthin immer gut genutzt werden. Aus diesem Grund plane ich neben der obligatorischen Tour zum Rosskopf noch weitere Wanderungen, die uns in fern ab jeglicher Alltagshektik abschalten lassen und die leider viel zu knappe Zeit versüßen.
Schon lange haben wir mit dem Gedanken gespielt einmal den Großvenediger zu besteigen, der auch unserem jedes Jahr genutzten Ferienort Neukirchen am Großvenediger seinen Namen gegeben hat. So hatten wir diese Besteigung schon letztes Jahr auf unserem Tourenplan und waren bereit es anzugehen. Wir hatten zwar schon mit sieben Tagen etwas mehr Urlaub als normal eingeplant, aber diese waren komplett verregnet und es herrschte Hochwasser in der Region. Aus diesem Grund musste die Tour abgesagt werden und wir versprachen uns es im Jahr 2015 erneut zu versuchen.
Und da Versprechen dazu da sind eingehalten zu werden stand fest, dass dieses Jahr ein zweiter Versuch folgt. Mit einer Höhe von 3657 Metern ist der Großvenediger der fünfthöchste Berg in Österreich und mit seinem massiven Gletscher stellt er eine echte Herausforderung dar. Anhand dieser Fakten stand fest, es sollte auch meine bisher schwerste Tour werden. Da man für die Besteigung auf jeden Fall einiges an Ausrüstung wie Steigeisen und Seilschaftsequipment sowie viel Erfahrung im Umgang mit Gletscherspalten benötigt, ist eine Besteigung mit Bergführer absolut zu empfehlen. Deshalb haben wir schon frühzeitig Kontakt zum Bergführerbüro in Neukirchen aufgenommen und unsere Tour dort angemeldet. Bei den sehr netten Mitarbeitern haben wir dann auch unsere Zwei-Tages-Tour gebucht und alle wichtigen Eckdaten erhalten.
Tag 1 – Etappe 1
Die Motivation war also hoch, die Laune gut und die ersten organisatorischen Schritte waren gegangen als wir uns am Samstag gegen 14:00 Uhr am Bergführerbüro in Neukirchen trafen. Die Gruppe bestand aus 14 Personen, davon vier Familienmitglieder, und zwei begleitenden Bergführern. Mit Manfred und Hans-Peter haben wir zwei kleine aber sehr Zähe Exemplare der Gattung Bergführer erwischt, die mit ihrer lockeren Art schon in den ersten Stunden einen guten Zugang zur Gruppe fanden.
Nach unserem ersten Aufeinandertreffen und der Regelung des Geschäftlichen, nämlich der Bezahlung von 200 Euro pro Nase, bestiegen wir die Venedigertaxis. Diese Kleinbusse für eigentlich acht Personen sahen zwar außen schon stark mitgenommen aus, sind aber mit guten und sicheren Fahrern ausgestattet. Ein Paar Kratzer und Beulen lassen sich auf alpinen Fahrstraßen einfach nicht vermeiden. Mit diesen wurden wir dann in zwei Gruppen durch Neukirchen in das Obersulzbachtal gefahren. Gefahren? Richtig – in bin zwar ein Verfechter der Fortbewegung mit den eigenen Füßen, egal wie weit es ist, aber hier musste ich eine Ausnahme machen. Läuft man vom Beginn des Tals bis zur Kürsinger Hütte, unserem Tagesziel, benötigt man eine reine Gehzeit von ca. acht bis zehn Stunden. Und das war selbst mir, besonders in Anbetracht der Belastungen des Folgetages auf 3600 Meter, einfach zu weit und kraftraubend. Also ging es mit den Kleinbussen durch das Tal zu einem kleinen Parkplatz (Hopffeldboden). Dort hielten wir und luden pro Fahrzeug noch einmal 2 Personen ein. Deshalb auch der Hinweis auf die eigentliche Insassenzahl. ;)
Deutlich beengter ging es weiter hinter ins Tal, entlang des Bachbetts des Obersulzbach, welches durch riesige Felsen auf einer Breite von ca. 20 Metern geprägt ist. Dadurch bekommt einen kleinen Eindruck von den enormen Kräften des Schmelzwassers, das hier im Frühjahr die Landschaft verändert. Danach quälen sich die Busse enge Serpentinen aus sandgeschlemmten Wegen hinauf. Auch wenn man manchmal zweifelt, ob diese Wege überhaupt für Fahrzeugverkehr konzipiert sind, ging es mit sicheren Lenkbewegungen hinauf. Vorbei an beliebten Ausflugszielen für Talwanderer wie der Berndlalm und der Postalm fuhren wir in immer kargeres Gelände bis hin zum Materialaufzug der Kürsinger Hütte. Hier hieß es nach ca. 45 Minuten Fahrzeit „Endstation“ für die Busse, wofür ich dankbar war. Endlich konnten wir die Enge der überbesetzten Busse verlassen und das genießen warum wir angereist waren: die Berge. Nun standen wir vor der Wahl ob wir unsere Rucksäcke mit der Materialseilbahn Richtung Hütte schicken wollen. Wir packten ein paar kleine Taschen, mit ein Paar Übernachtungsgegenständen gen Bergfahrt und behielten unsere Rucksäcke am Mann bzw. der Frau. Ich mag es einfach alles wichtige am Mann zu haben, so ist man auf jegliche Eventualitäten vorbereitet. Und da an diesem Tag das Wetter wechselhaft wirkte und ich beim Wandern ständig trinken „muss“ stand meine Entscheidung fest. Die Mitwanderer meiner Familie hatten scheinbar ähnliche Gedanken, auch wenn wir komische Blicke der anderen Gruppenmitglieder ernteten. Aber das bin zumindest ich auf Grund meines meist sehr großen und vollen Rucksacks bereits gewöhnt und ich störe mich nicht mehr daran. Also ging es mit dem Rucksack auf dem Buckel zur zweiten Etappe.
Tag 1 – Etappe 2
Von der Materialseilbahn auf einer Höhe von ungefähr 1900 Metern ging es also mit dem Ziel Kürsinger Hütte los. In 2 Gruppen die sich auf Grund ihres Leistungsniveaus von allein bildeten und je von einem Bergführer begleitet wurden ging es sofort in steiniges alpines Gelände. Am Anfang noch sachte steigend kommt man schon kurze Zeit später in ein Steilstück. Der oft schmale Pfad schlängelt sich mit teils sehr hohen Tritten, die ein Mindestmaß an Kraft in den Oberschenkeln erfordern, den Berg hinauf.
Durch leicht feuchtes Wetter an diesem Tag war der Weg an den wenigen Stellen an denen er mit Erde bedeckt ist auch noch leicht rutschig. Dies war zwar beherrschbar aber insgesamt fällt schon zu Beginn des Weges auf, dass man seine Schritte bewusst setzen und die Konzentration hoch halten muss.
Wir waren trotz unserer mitgeführten Rucksäcke und dem damit verbundenen Zusatzgewicht irgendwie in der ersten Gruppe gelandet, die sich jetzt mit relativ zügigem Tempo dem Berg stellte. Dieser bot uns auch kaum eine Möglichkeit zum Durchschnaufen, da das Steilstück irgendwie nicht enden wollte. Es ging kontinuierlich mit hohen Steigungswerten weiter gen Ziel, sodass wir ganz schön ins Schwitzen kamen. Nach ungefähr der Hälfte der zu erwartenden Strecke kamen wir an eine Klamm. Hier führte der Weg an einer Steilwand entlang und war seitlich mit Seilen gesichert. Diese waren allerdings so befestigt, dass sie eher der Gewissensberuhigung dienten als wirklich Sicherheit zu gewährleisten. Die Klamm war aber mit ihrer Höhe und Schönheit für mich ein absolutes Highlight. Nach der Querung eines kleinen „Wasserfalls“ bog sich die Klamm kaminartig hinauf. Hier wurde der Pfad noch schmaler, steiler und fordernder. Gleichzeitig boten die links und rechts des Weges zwischen den kargen Felsen blühenden Pflanzen jedoch eine willkommene Abwechslung zum nackten Stein der letzten Meter. Gerade die vielen kleinen Edelweiße, auf die uns der Bergführer aufmerksam machte waren in so großer Anzahl eine echte Seltenheit und lenkten uns ab.
Die beiden anderen Mitglieder unserer Gruppe, Bernhardt und Philipp, waren junge sportliche Ingolstädter in meinem Alter und hielten das Tempo auch in diesem Abschnitt hoch. Ich war dankbar, dass ich meinen Rucksack mit ausreichend Flüssigkeit bei mir hatte um nachzutanken. Wir konnten die angeschlagene Geschwindigkeit mitgehen, aber ich merkte wie die anderen Gruppenmitglieder immer stiller wurden und mit sich selbst und dem Atmen beschäftigt waren. Zwar legte unser Bergführer Hans-Peter, der sich selbst Hape nannte immer wieder kurze Pausen ein um die zweite Gruppe aufschließen zu lassen, aber diese waren knapp bemessen – leider. Ich musste feststellen, diese Art des Wanderns ist für mich nicht wirklich das Richtige. Zwar mag ich die sportliche Herausforderung von schnellem Wandern, aber hier hatte man nicht einmal ausreichend Zeit die Umgebung zu genießen. Wir hatten durch die Konzentration auf den Weg und die Anstrengung einfach keinen wirklichen Blick für die schönen Aussichten, das Tal oder auch die Pflanzen- und Tierwelt. Aber genau das macht die Alpen für mich aus und so besonders. Dieses „Erlebnis Berg“ mit allen Eindrücken, der Ruhe, den einzigartigen Aussichten und den damit verbundenen Gefühlen ist doch der Grund für das alpine Wandern. Deshalb würde ich mich im Nachhinein eher der langsameren Gruppe anschließen oder diese Teiletappe selbstständig ohne Bergführer angehen um all das intensiver erleben und genießen zu können.
Nach der Klamm wird das Gelände wieder flacher ohne jedoch wirklich eben zu werden. Weiterhin stetig ging es für unsere Gruppe Bergauf. Der wieder breiter werdende Weg führte uns an Murmeltierlöchern vorbei, die jedoch alle schon verlassen war. Nur in der Ferne waren die Pfiffe der kleinen Bergbewohner zu hören. Leider haben sie sich auch an diesem Tag wieder vor mir und meiner Kamera versteckt. Deshalb entwickle ich langsam aber sicher eine Art Hassliebe zu ihnen. Grundsätzlich sind es für faszinierende Tiere die es geschafft haben einen unwirklichen Lebensraum für sich zu erobern und die ich unbedingt einmal erleben will. Leider sehen die kleinen Fellbälle das ganz anders und zeigen sich mir nie.
Begleitet von den verhöhnenden Pfiffen der Murmeltiere erreichten wir die mit 2572 Metern höchste Stelle der Tour, von der aus die Kürsinger Hütte das erste Mal zu sehen war. Und erstaunlicher Weise wurde sie so lang vom Berg verborgen gehalten, dass wir schon fast angekommen waren. Auf den letzten leicht abfallenden Metern konnte man sich durch den leichter werdenden Weg voll auf die überraschend große Hütte und den dahinter sichtbaren Gletscher des Großvenedigers konzentrieren. Auch der Gipfel war kurz zu sehen bevor er von den heranziehenden Wolken geschluckt wurde. Diese Wolken wurden schnell zunehmend dunkler und verhießen nichts Gutes. Deshalb gingen wir zügig zur Bergstation der Materialseilbahn, schnappten unser Gepäck und begaben uns zum Eingang der Hütte – unserem Tagesziel.
Am Ende dieser zweiten Etappe sagte mir mein Handy, dass wir in anderthalb Stunden 3,6 Kilometer Weg hinter uns gebracht hatten und dabei 720 Höhenmeter überwunden hatten. Die Streckendetails könnt ihr dabei der Karte entnehmen.
Maximale Höhe: 2573 m
Gesamtanstieg: 762 m
Die Kürsinger Hütte
In Vorbereitung auf unsere Tour war mir natürlich schon das ein oder andere Prospekt in die Hände gefallen, in dem die Kürsinger Hütte beschrieben wurde. Hier wurden mit blumigen Worten schöne Bilder von Alpenidylle gemalt und die urige Art der Hütte herausgestellt. Aber schon die in den Broschüren angegebene Anzahl von 150 Schlafstätten ließ mich daran etwas zweifeln. Aber ich versuchte nicht voreingenommen zu sein und trat mit einer positiven Grundeinstellung an die Tür heran.
Doch schon hier lag links der Tür ein kleiner Haufen Plastikmüll der mir ins Auge fiel. Ja, verursacht haben diesen Müll die Wanderer und Touristen. Trotzdem erwarte ich von einem Hüttenwirt die notwendige Liebe zu den Bergen und gleichzeitig das unternehmerische Feingefühl diesen Müll zu entfernen. So wurde der insgesamt schon lieblos gestaltete Eingangsbereich der Hütte noch zusätzlich verschandelt. Genauso wie durch die unzähligen Aufkleber von Städten, Ausrüstungsherstellern, Fußballvereinen und anderen Dingen, die es scheinbar Wert sind einen Aufkleber davon herzustellen, welche einen nach dem Durchschreiten der Eingangstür erwarten. Angebracht an einer Zwischentür in der Nähe des Schuhraumes und des Ausrüstungsraumes strahlen einen diese Sticker an und wirkten auf mich eher störend.
Im Schuhraum entledigten wir uns der Wanderstiefel, die auf der oben beschriebenen zweiten Etappe auf Grund der Wegbeschaffenheit aus meiner Sicht Pflicht sind. Der Schuhraum war schön groß und verfügte neben den üblichen Regalen auch über genügend Trocknungsmöglichkeiten. mit unseren Hüttenschuhen machten wir uns also auf in die Obergeschosse. Vorbei an den Räumen der Gaststätte und vielen Infotafeln über die Geschichte der Hütte im Treppenhaus, ging es in das 2. Obergeschoss. Das Treppenhaus wirkt relativ Steril und strahlte nichts von uriger Alpenhütte aus. Im zweiten OG wurden neun Personen unserer wiedervereinten Gruppen untergebracht. Danach ging es durch die verwinkelten Flure, in deren Ecken auch überall Schlafplätze verteilt waren, noch ein Stockwerk nach oben. Auf dem großen Schlafboden angekommen, der auch eine kleine Kletterwand zum üben beherbergt, dachten wir angekommen zu sein. Aber eine weitere kleine Treppe führte nach rechts oben und Hape signalisierte uns, dass wir auch diese letzten Stufen noch bewältigen sollten. Direkt unter dem Dach mit einem kleinen Fenster versehen erwartete uns dort unser Schlaflager mit acht Plätzen. Da wir zu fünft waren hatte jeder genügend Platz und wir waren für uns, was wir alle als sehr angenehm empfanden. Dies war aber nur wahrscheinlich nur möglich, weil an diesem Tag nur wenige Wanderer die Hütte aufgesucht hatten. Nachdem wir unsere Sachen abgestellt hatten gingen wir wieder nach unten, passten die vom Bergführer ausgeteilten Steigeisen und Klettergurte an.
Danach eilten wir auch entsprechend dem straffen Zeitplan auch schon zum Abendessen. Die Gasträume waren sehr gemütlich und so kam zumindest ein bisschen der versprochenen Hüttenromantik auf. Das Essen war mit seinen drei Gängen und der Wahlmöglichkeit zwischen drei verschiedenen Hauptgängen im Geschmack und in der Menge wirklich gut. Nach dem Essen und einigen schönen Gesprächen mit den anderen Wanderern unserer Unternehmung kaufte ich mir noch eine Duschmarke für 3 Euro und alle machten sich so langsam bereit das Zimmer aufzusuchen. Schnell noch die unverschämt teuren Getränke bezahlt und dann ging es unter das Dach. In unserem kleinen „Separee“ machten wir es uns noch etwas gemütlich und tranken noch eine Flasche Wein die wir mit auf den Berg geschmuggelt hatten. Mit vielen Gesprächen und viel Lachen ging der Tag so zu Ende, jeder quälte sich in seinen Hüttenschlafsack und schlief irgendwann ein.
Am nächsten Morgen klingelte kurz vor fünf Uhr der Wecker und alle machten sich relativ wortkarg fertig. Ein schnelles und einfaches Frühstück vom Büfett stärkte uns für den kommenden Aufstieg zum Großvenediger. Nicht außergewöhnlich lecker aber zweckmäßig und im Preis mit inbegriffen wurden wir satt. Und das wichtigste für mich am Frühstück war ausreichend vorhanden: Kaffee. Also ging es satt und „munter“ ab in den Keller –Schuhe anziehen – Rucksack schnappen und ab vor die Tür.
Abschließend fällt mein Fazit zur Kürsinger Hütte nicht besonders rosig aus. Zwar ist alles im Haus sauber und ordentlich, aber man merkt der Hütte den kommerziellen Charakter an. Hier ist alles auf viele Leute und Profit ausgelegt. Auch wenn die Waren auf die Hütte gebracht werden müssen, halte ich fast fünf Euro für ein Bier etwas übertrieben. Die Schlaflager sind teilweise in den Fluren und alle sehr knapp bemessen. Wenn man nicht dasselbe Glück wie wir hat, schläft man sehr eng aneinander. Und das ist nicht unbedingt die Hüttenromantik die ich mir wünschen würde. ;) Diese kommt aber ansonsten auf Grund der sterilen Gestaltung des Inneren der Hütte relativ kurz. Man erhält alles Wichtige um die Tour in Angriff zu nehmen, aber auch nicht viel mehr. Meine Vorstellung von Übernachten in einer Alpenhütte war und ist eine Andere.
Tag 2 – Etappe 3
Da standen wir nun kurz nach sechs Uhr in voller Montur, mit Rücksäcken, Wanderstiefeln und allem anderen was uns empfohlen wurde. Wir waren bereit den Gipfel in Angriff zu nehmen, traten aus der Tür heraus und…es regnete. Die Wolken hingen am Berg fest, die Sichtweite betrug ca. 50 Meter und…es regnete! Der Wetterdienst hatte zwar wechselhaftes Wetter vorhergesagt, aber ich hatte versucht diese Tatsache zu verdrängen die uns jetzt kalt und nass wieder einholte.
Das Wetter machte uns alle wehmütig, denn wir hatten uns einen Gipfelsturm bei Sonnenschein vorgestellt. Da meckern und schlechte Laune einen nicht zum Gipfelkreuz bringen stand nun die Frage im Raum, ob wir es trotzdem wagen wollen. Die Bergführer beratschlagten sich, die Gruppe ebenso, es wurden Wetterberichte gecheckt und der Himmel beobachtet. Da das Wetter im Verlaufe des Vormittags bis hin zum Mittag besser werden sollte und die Bergführer zumindest keine Gewittergefahr sahen, entschlossen wir uns alle gemeinsam, dass wir es versuchen wollen. Ich hörte zwar noch ein Gespräch zwischen den Bergführern bei dem gesagt wurde „bei dem Wetter würde ich nicht mal meinen Hund heraus jagen“, aber ich hatte Bock auf diesen Berg und wollte es schaffen –egal wie und unter welchen Umständen. Also zogen wir unsere Regenhosen an, schnürten die Bündchen der Regenjacke enger und zogen die Kapuzen tiefer ins Gesicht. Und dann ging es los aus dem Schutz der Hüttenüberdachung, hinaus in den Regen. Anfangs knickt der Weg von der Kürsinger Hütte aus nach links ab und es geht leicht bergauf. Der Weg ist in diesem Abschnitt ein Mix aus Stein und Erdreich, welches auf Grund des Regens nass und rutschig war. Mit bewusst gesetzten Schritten ging es über hügeliges Gelände und durch große Pfützen die sich gebildet hatten. Dabei wurden wir stets begleitet von den tiefhängenden Wolken, die uns jegliche Aussicht verwehrten. So blieb uns nur der Blick auf den vor uns liegenden Weg den wir teilweise auch nur erahnen konnten. Und trotzdem konnte ich mich für dieses Schauspiel begeistern. Die Nebelschwaden an den Geröllhängen die langsam den Blick freigeben und schwallartig ab und zu nehmen, kommen und gehen und dabei etwas mystisches haben vermitteln mir immer ein Gefühl für die Schroffheit der Natur. Trotz meiner „Begeisterung „ für Regenwanderungen, in denen ich auch immer etwas Schönes sehen kann, hätte ich natürlich auch mit schönem Wetter, Fernsichten und Sonnenaufgang in den Bergen leben können. Aber man muss die Wanderungen so nehmen wie kommen und so stapften wir weiter durch den Regen und durchquerten den ein oder anderen Wasserlauf, die nach Angaben der Bergführer eigentlich nicht hätten an diesen Stellen sein dürfen. Das vermittelte uns schon eine Relation wie viel Regen wirklich gefallen war bzw. gerade fiel – eine Menge. Zum Glück hielten meine Schuhe absolut dicht, was leider nicht bei allen der Fall war und so gab es die erste Runde nasse Füße bei wem nicht der Regen dies schon erledigt hatte.
Nach den Bachläufen wurden die Bruchsteine über die der Weg führte immer größer und wir mussten anfangen ein Wenig zu kraxeln. Das fiel aber leicht, da der Weg wieder leicht in eine Senke abfiel. Und da gab der Nebel den Blick frei auf den Gletscher der irgendwie dreckig und grau in dieser Senke sein Ende hat. Mit diesem Blick ging es hinab zum Schotterfeld davor, das für uns als Anseilplatz diente und den wir nach ca. anderthalb Stunden und drei Kilometern Marschstrecke erreichten. Im strömenden Regen hieß es also Rucksack ab, Steigeisen herausfischen und an die Füße klemmen und das Seil angehangen. Und dann ging es los mit dem Erlebnis Gletscherwandern. Der Einstieg in den Gletscher ist relativ flach und deswegen gut zu meistern. auf dem Gletscher stehend gab es dann noch eine Sicherheitseinweisung, die wahrscheinlich auf Grund des Wetters etwas kürzer ausgefallen ist, in der wir aber trotzdem alles Wichtige vermittelt bekommen haben. Dafür waren aber vor allem diejenigen dankbar, die keine Regenhose hatten und so ging es schnell weiter. Es war anfangs ungewohnt für mich mit Steigeisen zu laufen und beim Gehen auf die Seilspannung zu achten.
Aber auch daran hatten wir uns gewöhnt bis wir nach wenigen hundert Metern an die ersten Gletscherspalten kamen. Hape, an dessen Seil wir angehangen waren, sondierte den möglichen Weg mit sicherem Blick und führte uns im Zick-Zack-Kurs zwischen den Spalten hindurch. Links und rechts des Weges ging es teilweise in unbekannte Tiefen, da man nicht einmal den Grund der Spalten erkennen konnte bevor das letzte Licht durch das Eis geschluckt wurde, und wir balancierten auf schmalen Eisstegen dazwischen. Über die eine oder andere Spalte musste man auch mit einem beherzten langen Schritt übersteigen. Das benötigte besonders am Anfang und auch bei den Teilnehmern mit kürzeren Beinen eine gehörige Portion Selbstüberwindung. Aber die konnten alle aufbringen und so kämpften wir über das Spaltenfeld. Durch die Steigeisen hatte man immer das Gefühl einen festen und stabilen Stand zu haben und das Seil vermittelte zusätzliche Sicherheit.
So gelangten wir in einen völlig anders gearteten Bereich des Gletschers in dem uns nicht mehr das blanke blau schimmernde Eis begleitete sondern noch der Schnee des letzten Winters lag. Diese rutschige und malmige Unterlage war aber unangenehmer als das Eis. Unter unseren Schuhen gab der Schnee, wenn man ihn noch so nennen will, mit der zunehmenden Steigung immer mehr nach und schluckte die Kraft die wir bei jedem Schritt auf den Boden brachten. Im Gänsemarsch stampften wir so eine langgezogene Steigung hinauf bis zu einem kleinen Plateau und die ersten Unwägbarkeiten stellten sich ein. Die in 300 Metern Höhe, die wir so langsam erreicht hatten, schon dünner werdende Luft macht vor allem der zweiten Gruppe schon Probleme. Und in der Zwischenzeit waren fast alle Mitglieder unserer Gruppe durch den immer noch anhaltenden Dauerregen durchnässt, manche mehr, manche weniger und manche ganz. ;) Dazu wurde es immer kälter und der Regen wandelte sich langsam in Schneeregen und schließlich in Schnee. Auf dem Plateau angekommen griff uns dann auch noch der über die ebene Fläche pfeifende Wind an und dazu herrschte weiterhin Nebel, den auch der Wind nicht vertreiben konnte. All diese Widrigkeiten kratzten stark an der Motivation und der körperlichen Konstitution. Aber es wollte keiner aufgeben und so setzten wir uns nach einer kurzen Pause wieder in Bewegung und gingen in Richtung des nächsten Schräghanges. An diesem kam uns erst eine und dann eine zweite Seilschaft entgegen, welche die Besteigung auf Grund der schlechten Sicht abgebrochen hatten. Auch hier wollten Hape und auch die Gruppe noch nicht aufstecken und wir entschieden uns zum erneut dafür weiterzumachen. Wir stapften noch ca. eine halbe Stunde durch Schnee, Regen, Nebel und Wind. Auf 3131 Metern Höhe und nach dreieinhalb Stunden durchgehenden Regens war es dann soweit. Die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt die zusammen mit dem Wind zu einer gefühlten Temperatur von ca. minus zehn Grad führten kühlten die nassen Körper soweit herunter, dass es nicht mehr zu verantworten war den Weg fortzusetzen. So standen wir kurz an dem Hang, nass, enttäuscht und frierend bevor wir umdrehten und den Heimweg antraten.
Mein erster Gedanke in diesem Moment war ein innerliches Fluchen. Das zweite Jahr in Folge sollte uns der Gipfel verwehrt bleiben. Aber die Gesundheit geht vor und spätestens als wir unsere Finger in den nassen Handschuhen kaum noch spürten war klar das diese so langsam gefährdet ist und von der versprochenen Wetteränderung war auch weit und breit nichts in Sicht. Und manchmal muss man sich einfach eingestehen wenn es nicht mehr geht – auch wenn es schwer fällt.
Aber nicht nur wir hatten zu viel Wasser abbekommen, auch mein Handy verweigerte wegen zu intensiver Wässerung den Dienst. Während ich einige Fotos mit dem guten Stück gemacht hatte, hatte der Regen ganze Arbeit geleistet. Erst im Abstieg am Anseilplatz war es in meiner Tasche soweit getrocknet, dass es wieder mitspielte. Deshalb fehlen mir leider auch ein paar GPS-Daten die dem Regen zum Opfer gefallen sind.
Hinab ging es aber auf der gleichen Route auf der wir aufgestiegen waren. Schnelleren Schrittes ging es Richtung Anseilplatz. Der malmige Schnee rutschte unter unseren Füßen und der Regen begleitete uns auch hier. Durch die Wettereinflüsse und die damit verbundene körperliche Beanspruchung fiel es schwer die Konzentration durchgehend hoch zu halten, was aber gerade an den Gletscherspalten enorm wichtig ist. Als wir wieder in die schwarzen Gräben schauten war das Adrenalin jedoch wieder da und die Sinne deshalb geschärft. Auch deshalb schafften wir es relativ zügig an die Kante des Gletschers und stiegen wieder auf festen Fels. Ein komisches Gefühl, diese besondere Umgebung so „unerledigt“ hinter sich zu lassen.
Zwei, drei Regentropfen mitten auf meine Stirn holten mich schnell wieder aus meiner Träumerei zurück. Schnell wurden die Steigeisen und Klettergurte abgeschnallt und in den Rucksäcken verstaut und dann gaben die Bergführer die Strecke „frei“. Jeder konnte sein Tempo zurück zur Hütte selbst wählen und eigenständig dorthin gehen. Nachdem wir beim Verpacken des Equipments etwas länger brauchten als der Großteil, starteten wir im Familienverband ziemlich am Ende. Auch hier hielten wir uns an den schon auf dem Hinweg genutzten Pfad. Wir kamen zügig voran und redeten viel nachdem wir alle wieder etwas aufgetaut waren. Nach fünfeinhalb Stunden und einer ungefähren Strecke von zwölf Kilometern standen wir wieder vor der Kürsinger Hütte. Einige Mitglieder unserer Gruppe saßen schon in der Hütte, andere legten gerade das Material ab und wir standen an der Eingangstür. Nur von den Bergführern fehlte weit und breit jede Spur. Diese kamen ca. 30 Minuten nach uns an der Hütte an und hatten das letzte Mitglied unserer Unternehmung im Schlepptau – dem Holländer Bas. Dieser hatte beim Abstieg nach dem Gletscher Probleme mit der Ausdauerkraft bekommen und war deshalb mehrfach auf den nassen Steinen ausgerutscht und gestürzt. Bei einem dieser Stürze hatte er sich auch eine Kopfplatzwunde zugezogen, die durch zufällig auf der Hütte anwesende Krankenschwestern fachmännisch versorgt wurde. Auch bei ihm hatte das Wetter maßgeblichen Einfluss auf seine Verfassung und so stellte es sich als absolut richtige Entscheidung heraus, dass wir die Besteigung abgebrochen hatten.
Wieder vollzählig stärkten wir uns auf der Hütte bei einem deftigen Essen und warmen Getränken, die uns die Strapazen der letzten Stunden schon etwas vergessen ließen. In dieser Zeit trockneten unsere Klamotten im Keller so gut es die Heizung eben schaffte. Nach dieser ausgiebigen Pause rutschten wir in die noch feuchten Sachen und stellten uns der letzten Etappe.
Maximale Höhe: 3133 m
Gesamtanstieg: 1190 m
Tag 2 – Etappe 4
Der Abstieg ins Tal sollte eigentlich kein Problem mehr sein, dachten wir. Aber schon beim Verlassen der Hütte schlugen uns wieder Wind und Regen ins Gesicht. Nachdem wir unser Gepäck in den Materialaufzug gepackt hatten und der verletzte Bas zugestiegen war, machten wir uns auf den Weg ins Tal. Während der fliegende Holländer über unsere Köpfe am Liftseil ins Tal glitt gingen wir hinab. Leider gab es auch hier keine Alternativroute die für andere Bilder gesorgt hätte. Man konnte die Landschaft aber sowieso nicht genießen, da der Nebel immer noch Vieles verhüllte und man die ganze Aufmerksamkeit auf die rutschigen Steine lenken musste. Mit Vorsicht und unseren Trekking-Stöcken war es aber alles zu bewältigen.
Nur der kleine Bachlauf, den wir beim Aufstieg überquert hatten, war jetzt alles andere als klein. Aus ihm war durch den Regen ein stattlicher Wasserfall geworden. Aber auch den Querten wir, und schon waren die Schuhe bei den meisten wieder nass. Obwohl ich mit sicherem Schritt ungefähr knöcheltief im Wasser stand ließen meine Wanderstiefel von HAIX kein Wasser durch und ich kam trockenen Fußes durch den „Bach“. Die restliche Strecke war von immer weniger Regen gekennzeichnet. Mit dem Abstieg ins Tal verließen wir die Wolken, es klarte auf und im Trockenen kamen uns auf den letzten Metern schon Wanderer entgegen, die sich die Besteigung für den nächsten Tag vorgenommen hatten. Mit freundlichem Gruß passierten wir sie und erreichten die Talstation der Materialseilbahn. Schnell noch die Taschen in die Taxis eingeladen und dann ging es hinab nach Neukirchen. Immer noch nass und etwas geschafft überstanden wir die Fahrt und einen Fast-Unfall mit einem entgegen kommendem Kleinbus letztendlich heil. Am Bergführerbüro gab es noch für jeden ein T-Shirt mit dem Aufdruck Großvenedigertour und dem Emblem des Bergführerbüros. Die „offizielle“ Urkunde zur Besteigung, die eigentlich noch zum Paket gehört, wurde uns natürlich nicht überreicht.
Maximale Höhe: 2557 m
Gesamtanstieg: 34760 m
Fazit
Trotz des Abbruchs und dem Gefühl gescheitert zu sein bleibt mir diese Tour trotzdem positiv in Erinnerung. Ich konnte mich an das Thema Gletscher herantasten und wir verlebten zwei schöne Tage in Familie. Neben den schönen Erinnerungen bleibt aber auch die Erfahrung bestehen, dass es manchmal besser und angebracht ist umzudrehen. So schwer die Entscheidung auch fällt, es sollten der Sicherheitsgedanke und die Vernunft siegen. Diese Einsicht kann die Gesundheit schützen und im Ernstfall sogar Leben retten, da selbst die relativ „kleinen“ Alpen ihre Gefahren bergen. Mit dieser alpinen Weisheit im Gepäck reisten wir ab und haben uns Eines geschworen: Wir kommen wieder und versuchen es erneut!!! Dann hoffentlich bei schönerem Wetter. ;)
Wer ebenfalls Interesse an dieser Besteigung hat findet wie immer die GPS-Daten im Beitrag und zum Download bereit. Und sollte das Interesse richtig groß sein – wir suchen noch Leute für unseren nächsten Versuch 2016. ;)
Wer das Bergfführerbüro selst und höchstpersönlich aufsuchen will dem gebe ich hier noch die Adresse an die Hand. Denn auf der offiziellen Homepage ist die Adresse etwas schwer zu finden.
Bergführer Büro Neukirchen am Grossvenediger Emil Widmann
Markt 90, 5741 Neukirchen am Grossvenediger
Tel. / Fax: +43 6565 6243 email: info@bergfuehrer-buero.at
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